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Wir beginnen unseren Rundgang durch Mitte Süd und Kreuzberg bei Soy Capitán, die seit einem Jahr im Lindenhaus auf der Lindenstraße residieren. Dort wird die New Yorkerin Melissa Joseph gezeigt, die mit ihren Nadelfilz-Tableaus auf sich aufmerksam machte. Bemerkenswert an ihren Werken sind die gefundenen oder handgefertigten Objekte, die sie skulptural in die Wolle einarbeitet. Joseph greift auf Bilder aus ihrem persönlichen Archiv zurück und erschafft so „Erinnerungskokons“ von großer sinnlicher und zuweilen auch humorvoller Schönheit, die bedeutungsvolle Momente aus ihrem Leben und aus ihrem Umfeld bewahren.


Monochromatisch und konkret wird es direkt nebenan bei der Galerie Nordenhake. Hier wird der amerikanische Künstler Spencer Finch gezeigt. Wenngleich formal konträr zu Melissa Joseph, zeichnen sich auch Finchs Werke durch eine poetische Sensibilität aus. Er fängt das Ephemere über sinnliche Beobachtungen ein, die kaum wahrnehmbar sind. Durch die kleinen Wege zwischen Linden- und Markgrafenstraße geht es weiter zum ehemaligen Druckereiflachbau, in dem sich die Galerie Barbara Thumm befindet. Diese präsentiert Werke des multidisziplinär arbeitenden Roméo Mivekannin, der für seine stimmungsvollen Neuinterpretationen von Schlüsselwerken der europäischen Kunstgeschichte bekannt ist. Inspiriert von den Meisterwerken des Orientalismus, greift Mivekannin auf Gemälde des 17. bis 19. Jahrhunderts zurück, die mit der damals in Europa weit verbreiteten orientalistischen Bewegung in Verbindung stehen und zwingt so die Betrachtenden, die innewohnenden Erzählungen von Macht und Herrschaft zu hinterfragen und schafft dabei üppige Malereien.


Im gleichen Gebäudekomplex liegt carlier | gebauer. Hier werden drei Ausstellungen präsentiert: die Solo-Schau „Here Be Dragons“ der Spanierin Leonor Serrano Rivas voll farbig-floraler Skulpturen und die Gruppenausstellung „Surrounding you, Part II“, ein lohnendes kleines Spektakel mit Arbeiten unter anderem von Laure Prouvost, die gerade mit einer großen Einzelausstellung im Kraftwerk auf sich aufmerksam machte, Paul Pfeiffer sowie eine Einzelpräsentation der Künstlerin Nicole Miller. Nur anderthalb Block weiter nördlich winden sich die organisch unsymmetrischen Kurven des allgegenwärtigen Bildhauers Tony Cragg in der Buchmann Galerie durch den Raum. Es werden Zeichnungen und Skulpturen gezeigt. Fünf Gehminuten die Straße hoch liegt die Galerie Thomas Schulte in einem der wohl schönsten Gebäude der Stadt, dem ehemaligen „Damenmodehaus Kersten und Tuteur“. Die dort ausgestellten Skulpturen Lena Henkes stellen tradierte bildhauerische Praktiken in Frage und interagieren spektakulär ortsspezifisch mit der Galeriearchitektur. Auch die zweite gezeigte Position, der analytische Malers Jonas Weichsel, fordert gängige Malereideale mit seinen leuchtenden Kompositionen heraus.


Kleinteilig und kontemporär geht es bei Klemm’s weiter. Die Skulpturen der Hongkong-Chinesin Leelee Chan verkörpern hybride Formen, in denen sich architektonische, biomorphe und geologische Elemente überschneiden und visuelle Paradoxien erzeugen. Chans visuelle Erkundung des Unbekannten spiegelt das sich verändernde urbane Gefüge in ihrer unmittelbaren Umgebung in Hongkong wider und verkörpert ihr Interesse an Urbanismus, Wirtschaft, Architektur, materieller Kultur und Altertümern – wo könnte dies besser aufgehoben sein, als auf der Leipziger Straße. Wenige Meter weiter fängt Megan Plunkett bei Sweetwater gewöhnliche Gegenstände und Alltagsszenen in ihren Fotos ein, die die Wahrnehmung des Betrachters von Vertrautem stören. Mit ihrer Erfahrung in der forensischen und objektiven Fotografie schafft Plunkett Bilder mit versteckten Details und unerwarteten Wendungen, die durch eine Vielzahl von analogen fotografischen Techniken erreicht werden. Ebenfalls Fotografie gibt es in der Galerie Konrad Fischer, jedoch historisch und konzeptionell: es füllen die Begründer der Düsseldorfer Schule Bernd (1931 – 2007) und Hilla Becher (1934 – 2015), die Wände mit ihren sehr klaren Typologien deutscher Wohnhäuser im Ruhrgebiet.


In direkter Nähe zum Künstlerhaus Bethanien liegen die Galerien Kraupa-Tuskany Zeidler und Trautwein Herleth am Kreuzberger Landwehrkanal. Letztere zeigt eine politisch durchwobene Schau der multidisziplinär arbeitenden Post-Internet Künstlerin Puppies Puppies (Jade Guanaro Kuriki-Olivo), die auch in ihrem neuen Werk ihre Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte und Alltagsgegenständen fortsetzt, die sie durch Gegenüberstellung, Kombination und sorgfältige Inszenierung mit persönlichen, politischen und sozialen Kommentaren versieht. Diesmal kombiniert sie Minimal-Art, Farbfeldmalerei und Pop-Art und die ortsbasierte Dating-App Grindr. Bei Kraupa-Tuskany Zeidler ist Klaudia Schifferle zu sehen, Gründungsmitglied der 1977 gegründeten Avantgarde-Frauenband Kleenex (später bekannt als LiLiPUT), Malerin, Bildhauerin, Musikerin, Songschreiberin und Autorin. Inspiriert vom feministischen Ethos der Post-Punk-, New-Wave- und Indie-Szenen der 1970er Jahre, durchquert sie in den Räumen intuitiv und kompromisslos verschiedene Medien, Techniken und stilistische Ansätze.

Weiter gen Süden beenden wir unsere Tour in einem der wohl ungewöhnlichsten Ausstellungsräume der Stadt, bei Ebensperger im Fichtebunker, wo Bonnie Camplin & The Beat Messenger ihr „Holographic Universe“ errichten, ein gemeinsames Forschungsprojekt, das auf wöchentlich aufgezeichneten Gesprächen über drei Jahre (2021-2024) basiert. Diese Dialoge erforschen das Bewusstsein und die Ontologie der Kreativität und stützen sich auf die gemeinsamen Überzeugungen der Künstler und die holotrope Kosmologie. Die Themen reichen von der Flüchtigkeit der Realität bis hin zur Rolle der Science-Fiction beim Verständnis der Wahrheit und bieten mit Sicherheit genügend Material für die Gespräche auf dem Nachhauseweg.

We begin our walk through Mitte Sud and Kreuzberg at Soy Capitán, which has been located in the Lindenhaus on Lindenstraße for the past year. On view is work by New York-based artist Melissa Joseph, known for her needle-felted tableaus. Her pieces stand out for the found or handcrafted objects she embeds sculpturally in wool. Drawing on images from her personal archive, Joseph creates “memory cocoons” of great sensual – and at times humorous – beauty, preserving meaningful moments from her life and surroundings.


Next door at Galerie Nordenhake, the mood is monochromatic precision with works by American artist Spencer Finch. While formally a contrast to Joseph, Finch also shares a poetic sensibility. His work captures the ephemeral through subtle, sensory observations – moments that often verge on the imperceptible.
A short stroll through the narrow streets between Lindenstraße and Markgrafenstraße brings us to the former printing press building housing Galerie Barbara Thumm. Here, Roméo Mivekannin presents his multidisciplinary work, renowned for evocative reinterpretations of key works from European art history. Inspired by 17th- to 19th-century paintings associated with Orientalism, Mivekannin invites viewers to question the embedded narratives of power and dominance, all the while producing sumptuous, densely layered paintings.


In the same complex, carlier | gebauer is hosting three exhibitions: Here Be Dragons, a solo show of vibrant, floral sculptures by Spanish artist Leonor Serrano Rivas; Surrounding you, Part II, a compact yet compelling group exhibition including works by Laure Prouvost – fresh from her major solo show at Kraftwerk – and Paul Pfeiffer; and a solo presentation by artist Nicole Miller.
Just one and a half blocks north, Tony Cragg’s organically twisting sculptures unfold within the Buchmann Galerie. Both drawings and sculptural works by the ever-present sculptor are on display. A five-minute walk further up the road takes us to Galerie Thomas Schulte, set in one of Berlin’s architectural gems – the former Kersten and Tuteur women’s fashion house. Inside, Lena Henke’s sculptures dramatically challenge traditional sculptural norms and interact impressively with the architecture. Also on view are vivid, analytical paintings by Jonas Weichsel, who questions conventional painting ideals with his luminous compositions.


Things take a more intimate, contemporary turn at Klemm’s, where Leelee Chan – a Hong Kong-Chinese sculptor – presents hybrid forms that blend architectural, biomorphic and geological elements. Her visual paradoxes reflect the shifting urban fabric of Hong Kong and speak to her interest in urbanism, economics, architecture, material culture, and antiquities – where better to explore this than on Leipziger Straße?
Just metres away, at Sweetwater, Megan Plunkett captures everyday objects and scenes in photographs that disrupt our perception of the familiar. With a background in forensic and documentary photography, Plunkett produces images rich in hidden details and surprising twists, employing a range of analogue techniques. Photography continues at Konrad Fischer Galerie – though here it’s historical and conceptual: the walls are lined with typologies of German residential houses in the Ruhr region by Bernd (1931 – 2007) and Hilla Becher (1934 – 2015), pioneers of the Düsseldorf School.


Nearby, along Kreuzberg’s Landwehr Canal and close to Künstlerhaus Bethanien, you’ll find Kraupa-Tuskany Zeidler and Trautwein Herleth. The latter presents a politically charged exhibition by multidisciplinary post-internet artist Puppies Puppies (Jade Guanaro Kuriki-Olivo), who continues her exploration of art history and everyday objects, combining and staging them with personal, political and social commentary. This time, she juxtaposes Minimal Art, Colour Field painting, and Pop Art with the location-based dating app Grindr.
At Kraupa-Tuskany Zeidler, works by Klaudia Schifferle are on show. Schifferle, a founding member of the 1977 avant-garde women’s band Kleenex (later LiLiPUT), is also a painter, sculptor, musician, songwriter and author. Drawing on the feminist ethos of 1970s post-punk, new wave and indie scenes, she navigates media, technique and style with an intuitive and uncompromising approach.

Heading further south, we end our tour at one of Berlin’s most unique exhibition spaces – Ebensperger in the Fichtebunker. Here, Bonnie Camplin & The Beat Messenger present Holographic Universe, a collaborative research project based on weekly recorded conversations spanning three years (2021–2024). These dialogues explore consciousness and the ontology of creativity, grounded in the artists’ shared beliefs and a holotropic cosmology. Themes range from the fluidity of reality to the role of science fiction in understanding truth – certainly more than enough to spark conversation on the way home.